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Geschichte der Sozialmedizin in Berlin

Das Fach Sozialmedizin gehört zu den theoretisch-klinischen Fächern in der Medizin und beinhaltet heute die Epidemiologie und Demografie als wichtige Disziplinen. Lesen Sie mehr über die Entwicklung des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité — Universitätsmedizin Berlin bis heute.

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Geschichtlicher Überblick

1920 wurde der erste Lehrstuhl Sozialhygiene in Deutschland am Hygiene-Institut der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität eingerichtet. Als erster Lehrstuhlinhaber in Deutschland begründete Alfred Grotjahn (1869-1931) die Sozialhygiene als akademisches Lehrfach in Deutschland und konzipierte 1922 das gesundheitspolitische Programm der SPD. Die Einrichtung wurde mit der Machtergreifung der National­sozialisten aufgelöst, viele Mitarbeiter emigrierten in die USA, Sowjetunion und andere Länder und waren dort maßgeblich an der Entwicklung von Public Health beteiligt.

Im Dritten Reich wurden Teile des früheren Instituts unter Leitung von Fritz Lenz mit der neuen Ausrichtung "Rassenhygiene" weitergeführt.

1947 erfolgte die Wiedereinrichtung des Lehrstuhls Sozialhygiene am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Humboldt-Universität mit dem Lehrstuhlinhaber Alfred Beyer (1885-1961), der das Lehrgebiet inhaltlich und organisatorisch neu etablierte. 1951 wurde Sozialhygiene Staatsexamensfach im Medizinstudium in der DDR. Von 1955-1959 war Beyer Ärztlicher Direktor der Charité.

Sein Nachfolger Kurt Winter (1909-1987) wurde 1957 berufen. 1959 erfolgte die Abtrennung der Hygiene von dem bisherigen Institut für Hygiene und Mikrobiologie und die Gründung eines eigenen Hygiene-Institutes unter Leitung von Kurt Winter mit Sozialhygiene als eigenständiger Abteilung.

Nach seiner Emeritierung folgte 1977 Ingeborg Dahm als Leiterin der Abteilung Sozialhygiene. Von 1986 bis 1990 bestand ein eigenständiges Institut für Sozialhygiene. 1990 wurde das Institut unter der Leitung von Jens-Uwe Niehoff umbenannt in Sozialmedizin und Epidemiologie und 1993 mit der Arbeitsmedizin zusammengelegt.

1995 wurde Stefan Willich auf den Lehrstuhl Sozialmedizin und Epidemiologie berufen und zum Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozialmedizin und Epidemiologie ernannt, seit 2001 Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie.

Von 2012 bis 2014 war Prof. Willich Rektor der Hochschule für Musik Hanns Eisler, die kommissarische Institutsleitung hatten 2012/2013 Prof. Claudia Witt und 2014 Prof. Benno Brinkhaus. Im Oktober 2014 kam Prof. Willich an das Institut zurück.

Sozialmedizin 1920 bis 1945

Mit steigendem Wissensstand um soziale Prädiktoren von Krankheiten entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus der bereits eigenständigen Wissenschaft der "Hygiene" die "Sozialhygiene" (Schagen 2006). Zeitgleich entstand auch der Begriff "Soziale Medizin". Das eigenständige Profil erhielt dieses Fach durch Alfred Grotjahn (Schallmeyer 1914). Grotjahn, 1869 als Sohn einer niedersächsischen Arztfamilie geboren, studierte von 1890-1896 Medizin an den Universitäten Greifswald, Leipzig, Kiel und Berlin, und arbeitete zunächst als niedergelassener, praktischer Arzt in Berlin. Hier, sowie auf Reisen nach London und Paris 1902 gewann er Eindrücke von der gesundheitlichen Lage der Großstadtbevölkerung. Grotjahn verstand als Ziel der Sozialhygiene vor allem die Prävention von Krankheiten. Er integrierte hierbei das damals populäre Gedankengut der praktischen Eugenik in sein Konzept einer bevölkerungspolitischen Anwendung der Prävention (Ferdinand 2007). 1912 wurde Grotjahn Privatdozent für Hygiene und Leiter der Abteilung für Sozialhygiene am Hygiene-Institut der Universität in Berlin. 1920 erlangte er trotz des Widerstandes der überwiegenden Mehrheit des Fakultätsrates, die ein Ordinariat für Sozialhygiene für überflüssig hielten, die Professorenwürde und war damit der erste und damals einzige Ordinarius für Sozialhygiene in Deutschland (Grotjahn 1932; Kaspari 1989).

Der Nationalsozialismus unterbrach die wissenschaftliche Entwicklung der Sozialhygiene für viele Jahre. Nach dem Tod von Grotjahn 1931 ließ das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung das Ordinariat vakant, erteilte jedoch zur Fortsetzung des Unterrichtes einen Lehrauftrag an Benno Chajes (Weder 2000). Bis zur Beurlaubung von Chajes 1933 durch das Ministerium verschwand der Stamm von Grotjahn-Schülern rasch im Zuge der politischen Entwicklung in Deutschland. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 und dem "Deutschen Beamtengesetzes" 1937 konnten Beamten aus politischen oder rassischen Gründen entlassen werden (Reichsgesetzblatt 1, Berlin 1933; 5). Als Folge wurde bis zum Jahre 1938 ein Drittel aller Lehrkräfte ausgewechselt, bis 1945 bereits 45%, die fast alle in der Folgezeit zur Auswanderung gezwungen wurden (Samuel u. Hinton 1949; Pross 1955). Ein großer Teil der Teilnehmer waren Angehörige der jüdischen Religionsgemeinschaft bzw. politisch dem linken Lager zugehörig. Mit wachsendem Einfluss der Nationalsozialisten wurden viele von ihnen verhaftet, ermordet oder ins Exil getrieben, so auch die Grotjahn-Schüler.

1933 wurde Franz Schütz zum Außerordentlichen Professor für Sozialhygiene sowie zum Leiter des Sozialhygienischen Seminars ernannt und übernahm bis 1940 die Lehrveranstaltungen. Ebenfalls 1933 wurde Fritz Lenz zum Ordinarius für Rassenhygiene ernannt und richtete in den Räumen des Sozialhygienischen Seminars das Institut für Rassenhygiene ein. Er übernahm auch die Abteilung für Rassenhygiene des "Kaiser Wilhelm Institut für Anthropologie" (KWIA). Die Rassenhygiene wurde mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten zur Leitwissenschaft.

Die jüdischen Wissenschaftler Franz Goldmann, Miron Kantorowicz, Alfred Korach und Georg Wollf, ehemalige Mitarbeiter von Alfred Grotjahn, waren in unterschiedlichen Public Health Bereichen in den USA tätig und hatten relativ erfolgreiche Karrieren.

Goldmann war Fellow am "Dept. of Public Health" an der Yale University, wo er eine neue Unterrichtsmethode etablierte, ab 1941 unter dem Namen "Medical Care in Modern Society. Social and Economic Aspects in Medicine" anerkannt. In den USA war er einer der ersten, der eine komplexe Analyse des Gesundheitswesen vornahm und Vorschläge zu einer gesetzlich verankerten Sozialversicherungspflicht.

Alfred Korach begann seine Lehrtätigkeit am "Massachusetts Institut" in Cambridge, USA, und wechselte 1939 als "Assistent Professor" für Öffentliches Gesundheitswesen an die Universität von Cincinnati/Ohio. Er publizierte über soziale und ökonomische Einflussgrößen auf die Gesundheit der Menschen.
Miron Kantorowicz arbeitete ab 1940 in den USA als "Research Fellow" im Bereich "Biostatistics" von der "Milbank Memorial Foundation" in New York. 1942 wechselte er an die "American University" in Washington, später zur Armee als "head of the Slavic and Balkan Unit" an der Abt. für Präventivmedizin des "Office Surgeon Generale des U.S. Dept. Army" und ab 1954 als Leiter der "East European Section,  Med. Information und Intel. Div."

Georg Wollf begann in den USA mit einer Lehr- und Forschungstätigkeit an der "Johns Hopkins University" in Baltimore im Bereich des Public Health. Ab 1941 wirkte er am "National Institute of Health", NIH in Washington, später an der "Carnegie Institution" an der Abteilung für Genforschung in Cold Springs Harbor, Long Island in New York. Von 1949 bis 1952 war Wollf für die "Medical Intellegence Branch of the Army Surgeon General`s Office" tätig. 1952 veröffentliche Wollf unter dem Titel "The Social Pathology as a Medical Science", eine umfassende Analyse der amerikanischen Entwicklung des Public Health unter Aufgreifen von Grotjahns Erbe (Willich et al. 2007; Etzold 2007).

Literatur:
Schagen U, Schleiermacher S. 100 Jahre soziale Medizin in Deutschland. Gesundheitswesen. 2006;68:85-93
Schallmayer W. Sozialhygiene und Eugenik. Z Sozialmed 1914;V.
Ferdinand U. Der Weg Alfred Grotjahns (1869-1931) zum "faustischen Pakt" in seinem Projekt der Sozialen Hygiene. Gesundheitswesen 2007;69:158-164
Grotjahn A. Erlebtes und Erstrebtes: Erinnerungen eines sozialistischen Arztes/Alfred Grotjahn. Berlin: Kommissions-Verlag. 1932: 284
Kaspari C. Alfred Grotjahn (1869-1931) - Leben und Werk. Dissertation. Bonn. 1989
Weder H. Sozialhygiene und pragmatische Gesundheitspolitik in der Weimarer Republik am Beispiel des Sozial- und Gewerbehygienikers Benno Chajes (1880-1938). In: Winau R, Bleker J (Hrsg.) Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaft, Heft 87. Husum: Matthisen Verlag. 2000.
Samuel RH, Hinton T. Education and Society in Modern Germany. London. 1949
Pross H. Die deutsche akademische Emigration nach den Vereinigten Staaten 1933-1941. Berlin: Duncker & Humblot. 1955
Willich SN, Etzold K, Berghöfer A. Emigration von Sozialmedizinern der Berliner Charité in die USA - Karrieren der Schüler Alfred Grotjahns. Gesundheitswesen 2007;69:694-698
Etzold K. Dissertation "Exodus der Sozialmedizin in den dreißiger Jahren von Berlin in die USA - das Erbe Alfred Grotjahns". Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2007

Sozialmedizin nach dem 2. Weltkrieg

Durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs war es dringend notwendig geworden, die Fakultäten der Universitäten wiederaufzubauen. An der Humboldt Universität in Berlin wurde während dieser Phase der Lehrstuhl der Sozialhygiene wiederbegründet. Alfred Beyer, der damalige Vizepräsident der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen, übernahm 1947 das Amt des Ordinarius für die Sozialhygiene. Nach dem Vorbild des Berliner Modells wurden in der Folgezeit Sozialhygiene-Institute an allen anderen Fakultäten des Landes geschaffen.

In der Anfangszeit beschränkte sich der Lehrstuhl für Sozialhygiene auf das Notwendigste und war in der Wohnung Alfred Beyers eingerichtet. Die Arbeitsthematik war geprägt von dem Wiederaufbau und der Neuorientierung des Faches Sozialhygiene nach dem Zweiten Weltkrieg. Von neuen Erkenntnissen und Vorstellungen ausgehend erweiterte das Institut nach und nach seine Tätigkeiten. Durch die Erweiterung und Vergrößerung des Institutes fand ab 1954 der Umzug in die wiederaufgebauten Gebäude in der Neuen Wilhelmstraße (heute Otto Grotewohl Straße) statt.

Bereits 1951 wurde die Sozialhygiene zum Staatsexamensfach und nur ein Jahr später begründete Alfred Beyer eine Arbeitsgemeinschaft von Sozialhygienikern. Diesen gelang es, 1953 das erste, fast 900 Seiten umfassende Lehrbuch zu veröffentlichen. An der Herausgabe des Leitfadens waren erfahrene Wissenschaftler  wie zum Beispiel Eva Schmidt-Kolmer, Erwin Marcusson, Karl-Heinz Mehlan, Fritz Oberdoerster und Hermann Redetzky beteiligt.
Unter Alfred Beyer erhielten 44 Kandidaten ihre Promotion. Kurt Winter, Karl-Heinz Mehlan und Elfriede Paul konnten sich habilitieren. Alfred Beyer wurde 1948 Dekan der Medizinischen Fakultät und 1949 Prorektor der Universität. Von 1955 bis 1959 leitete er als Ärztlicher Direktor die Charité. Nach seiner Emeritierung übernahm 1956 sein Oberarzt Kurt Winter die Leitung des Institutes. 1957 erhielt er die Position des Ordinarius.

Um bei der Entstehung eines demokratischen Gesundheits-, Sozial- und Hochschulwesens mitwirken zu können, beschäftigten sich die Mitarbeiter des Lehrstuhls mit vielfältigen Themengebieten. Großen Wert wurde auch auf die Ausbildung von neuen Ärzten und Hochschullehrern gelegt. Das Kollegium um Alfred Beyer und Kurt Winter widmete sich dem Aufbau eines Betriebsgesundheitswesens, der Schaffung von Landambulatorien, dem Gesundheitsschutz von Mutter und Kind, der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und der Begründung einer fortschrittlichen Gesundheitspolitik. Schöpferisch verarbeitet und verbreitet wurde vor allem sowjetische wissenschaftliche Literatur. Gleichzeitig versuchten die Sozialhygieniker, an die Tradition der fortschrittlichen deutschen Medizin anzuknüpfen. Karl-Heinz Mehlan engagierte sich besonders in dem Bereich des Gesundheitsschutzes in der Schwangerschaft, bei der Frühgeborenenbetreuung und bei den Problemen bei Schwangerschaftsunterbrechungen. Ihm gelang es, erste Voraussetzungen für die spätere international anerkannte wissenschaftliche und organisatorische Arbeit auf dem Gebiet der Familienplanung zu schaffen.

Elfriede Paul widmete sich dem Gesundheitsschutz der arbeitenden Bevölkerung, insbesondere der berufstätigen Frau und den Fragen des Krankenstandes.

Karl-Heinz Renker beschäftigte sich hauptsächlich mit den wissenschaftlichen Grundlagen und der Organisation des Betriebsgesundheitsschutzes.
Eva Schmidt-Kolmer und ihre Mitarbeiter trugen einen großen Teil dazu bei, die Gleichberechtigung der Frau voranzutreiben. Sie erstellten einen Leitfaden für Erziehung in Krippen und Heimen, welcher zum Standardwerk für Krippenerzieherinnen und Ärzte wurde.

Mitte der 1950er Jahre rückte die Untersuchung der körperlichen Entwicklung Jugendlicher in den Vordergrund der Forschung. Die Akzeleration als Ausdruck der Wirkung sozialer Veränderungen auf die Gesundheitslage stellte einen wichtigen Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtungen dar. Zu diesem Thema wurden durch die Mitarbeiter des Institutes eine Vielzahl von Dissertationen und Veröffentlichungen hervorgebracht.

In vielseitigen wissenschaftlichen Arbeiten gelang es dem Kollegium des Institutes zudem, Fortschritte in der Forschung zur Epidemiologie von Herz-Kreislauf-Krankheiten, zur Sterblichkeit, Morbidität und Mortalität im Säuglings- und Kindesalter, zur Todesursachenstruktur und zur Krebssterblichkeit zu erzielen.

In den 1960er Jahren wendeten sich die Mitarbeiter verstärkt soziologischen und epidemiologischen Gebieten zu. Es wurden neue soziologische Methoden erprobt, neues Vorlesungsmaterial erarbeitet und diverse Symposien veranstaltet. 1973 erschien die erste Auflage des Lehrbuches Soziologie für Mediziner. Durch Bernhard Kreuz fand ein systematischer Ausbau der Epidemiologie als Bestandteil der Sozialhygiene statt. Damit gelang es, einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der allgemeinen Epidemiologie in der DDR zu leisten.

Weiterhin wurde der Krankenstand in der DDR analysiert und seine Entwicklung bis in die Mitte der 1980er Jahre verfolgt und erforscht. Das Institut für Sozialhygiene schuf Voraussetzungen, um die weitgehend empirisch orientierte Epidemiologie theoretisch zu fundieren.

Bereits im Jahr 1959 erfolgte, nachdem schon in Halle und Rostock eigenständige Institute für einerseits die Medizinische Mikrobiologie und Epidemiologie sowie andererseits für die Hygiene eingerichtet wurden, ebenso in Berlin eine Neuorganisation der Institutsstrukturen. Das Institut für Medizinische Mirkobiologie und Epidemiologie wurde neu gegründet, das Hygienische Institut mit Kurt Winter als Direktor nun in vier Abteilungen gegliedert. Es bestand aus den Abteilungen für Allgemeine und Kommunale Hygiene, für Arbeitshygiene, für die Hygiene im Kindesalter und für Sozialhygiene. Direktor wurde Kurt Winter. Nach der Emeritierung Winters übernahm Ingeborg Dahm im Jahr 1977 die Leitung. Aus der Abteilung für Sozialhygiene entstand am 24. Februar 1986 das eigenständige Institut für Sozialhygiene. Ingeborg Dahm wurde zur Direktorin berufen. 1990 wurde das Institut unter der Leitung von Jens-Uwe Niehoff umbenannt in Sozialmedizin und Epidemiologie und 1993 mit der Arbeitsmedizin zusammengelegt.
Das neue Institut beschäftigte sich weiterhin mit umfangreichen Tätigkeiten in der Aus-, Weiter- und Fortbildung und in der Forschung. Die Lehre erfolgte in den Grundstudienrichtungen Medizin, Stomatologie, Medizinpädagogik und Diplomkrankenpflege. Die Ausbildung der Studenten wurde weitgehend in Seminaren unter Beteiligung aller wissenschaftlicher Mitarbeiter betrieben. Hospitanten, Facharztkandidaten und externe Doktoranden erhielten eine umfangreiche Betreuung. Das Institut trug wesentlich zur disziplinären Aus- und Weiterbildung bei. Dies galt für die Ausarbeitung der Lehrprogramme, die Herausgabe von Hochschullehrbüchern und der Schaffung von ausführlichen Seminarmaterialien. Am Institut wurden generell empirische Untersuchungen zum Studium der Medizin durchgeführt.

In vierzig Jahren habilitierten sich dort 25 Mitarbeiter und Externe bzw. erhielten die Promotion B. Weiterhin wurden 320 A-Promotionen verteidigt und eine Vielzahl von Diplomarbeiten verfasst.

Das Institut heute

1995 wurde Stefan Willich auf den Lehrstuhl Sozialmedizin und Epidemiologie berufen und zum Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozialmedizin und Epidemiologie ernannt. Das Institut war zunächst Teil des Gebäudekomplexes Dorotheenstraße/Wilhelmstraße.

Wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten des Gebäudekomplexes wurde das Institut 1998 in den Riedemannweg ausgelagert. 1999 erfolgte der Umzug in die heutigen Räume im Gebäude Luisenstraße 57.

Seit dem Jahr 2000 ist das Institut im Berliner Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften integriert, zusammen mit 10 weiteren Instituten der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität und der Freien Universität Berlin. 2001 wurde das Institut umbenannt in Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie. Im Frühjahr 2004 wurde dem Institut der Projektbereich Internationale Gesundheitswissenschaften angegliedert, der nach der Emeritierung von Frank-Peter Schelp aus dem ehemaligen Institut für Soziale Medizin am Campus Benjamin Franklin hervorging. Im Herbst 2006 wurde Prof. Willich die kommissarische Leitung des Instituts für Gesundheitssystemforschung übertragen, nach der Emeritierung von Ralph Brennecke. Im Zuge der Charité Restrukturierung im Jahr 2005 wurde das Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften in das CharitéCentrum 1 für Human- und Gesundheitswissenschaften überführt und 2006 Prof. Willich zum Wissenschaftlichen Leiter ernannt. Dem CharitéCentrum 1 gehören Fächer an, die für die Vernetzung mit Grundlagenwissenschaften, Kliniken, und Geistes- und Sozialwissenschaften besondere Bedeutung haben, und die vor allem den Bezug der Charité zu Bevölkerung und Gesellschaft herstellen. Die Hälfte der Institute bietet ambulante medizinische Versorgung an.

Die Entwicklung der Forschungstätigkeit des Instituts begann Mitte der 90er Jahre mit verschiedenen Großprojekten in Form von klinisch-epidemiologischen Beobachtungsstudien, Kohortenstudien wie Fall-Kontroll-Studien. Seit dem Jahr 2000 gehören zusätzlich Interventionsstudien einschließlich randomisierter kontrollierter Studien zur Forschungsarbeit, so dass wir heute das gesamte Spektrum großer klinischer und epidemiologischer Studien erfolgreich koordinieren und durchführen. Dabei ist es in den letzten Jahren auch Routine geworden, vertreten durch den Forschungsbereich Gesundheitssystemforschung, gesundheitsökonomische Parameter in allen Studien zu integrieren, wie es den heutigen Ansprüchen an unser Fach entspricht.

Die Entwicklung der Forschungsausrichtung und -projekte war begleitet von einer stetigen Verbesserung struktureller Aspekte und des Supports von Projekten durch Mitarbeiter in Querschnittsfunktionen. So stand am Anfang die Entwicklung einer tragfähigen EDV-Struktur im Mittelpunkt, um die Großprojekte mit umfangreicher Dateneingabe meistern zu können. Ab 2000 wurden in die Teams gesundheitsökonomisch und statistisch ausgebildete Mitarbeiter integriert, um allen Projekten diesbezüglich methodische Unterstützung zu geben. Schließlich folgte ab 2002 ein zunächst auf die Forschung, später auf die Lehre ausgedehntes Qualitätsmanagementsystem, welches die effiziente Umsetzung der Projekte auch unter den zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen Bedingungen der Charité gewährleistet.

Die Kooperation des Instituts mit einer Vielzahl anderer Einrichtungen ist eine wichtige Basis unserer wissenschaftlichen Arbeit. Eine besondere Schwierigkeit in allen medizinischen Bereichen ist nach wie vor die Umsetzung klinischer Forschungsergebnisse auf die medizinische Praxisrealität. Klinische Studien unter standardisierten Bedingungen mit selektierten Patienten sind oft nicht repräsentativ für die Praxisrealität. Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit des Instituts ist daher die Kooperation mit peripheren Kliniken und niedergelassenen Ärzten. Gefördert werden unsere Projekte vor allem von Bundes- und Landeseinrichtungen, Stiftungen, Krankenkassen und Industrie.

Das Gebäude Luisenstr. 57

Das Gebäude in der Luisenstr. 57 in Berlin Mitte liegt zwischen Campus Charité Mitte und Campus Nord der Humboldt-Universität. Es wurde 1840 erbaut. Dort befand sich zwischen 1879 und 1897 die Arbeitsstätte des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, was damals schon Aufgaben von Gesundheits-, Verbraucher- und gesundheitlichem Umweltschutz wahrnahm. Robert Koch wurde 1880 dorthin berufen und entdeckte in diesem Haus den Erreger der Tuberkulose. Im Gebäude befand sich also sozusagen das Gründungszentrum für das öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland.

Im Jahr 2003 erhielt das Gebäude den Namen "Salomon Neumann Haus". Der Berliner Arzt war ein enger Mitarbeiter von Rudolf Virchow und Mitbegründer der Sozialmedizin. Als liberaldemokratischer Gesundheitsreformer war er von 1859 –1905 Berliner Stadtverordneter.

Salomon Neumann Gedenktafel

Aus Anlass des 200. Geburtstags von Salomon Neumann wurde 2019 im Gebäude Luisenstr. 57 eine Gedenktafel errichtet.